Individuelle und gesellschaftliche Freiheit
Veröffentlicht am 27.10.2017 von Patrik Rudolf Brunner
Rien ne va plus
2012 haben wir uns mittels Volksabstimmung für eine Revision des Geldspielgesetzes ausgesprochen. Nun hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das Schweizer Casinos vor der ausländischen Konkurrenz schützen soll. Die Jungfreisinnigen, die junge SVP und die jungen Grünliberalen haben gegenüber dem neuen Glücksspielgesetz das Referendum ergriffen.Konkret betrifft das neue Gesetz die ausländischen Online Casinos, wobei der Begriff Casino von den Fürsprechern sehr grosszügig ausgelegt wird. Die Folge daraus: die Swisscom und andere Schweizer Internetanbieter müssen zukünftig die Seiten ausländischer Glückspielanbieter sperren. Dazu gehören beispielsweise bwin.com für Sportwetten oder Pokerplattformen wie pokerstars.com. Damit haben wir in der Schweiz zum ersten Mal in der Geschichte eine Internetzensur!
Wir sprechen hier nicht von Kinderpornografie, Dschihad-Websites oder anderen moralisch verwerflichen Inhalten, sondern von legitimen Websites ausländischer Unternehmen. Das ist ein massiver Eingriff in die Informationsfreiheit und in die persönliche Freiheit der Bevölkerung. Wir sind im 21. Jahrhundert – das geht unter keinen Umständen! Denn damit wird ein Oligopol geschaffen und die inländischen Casinos werden von der ausländischen Konkurrenz abgeschottet. Bei mir als liberaler Politiker löst allein der Gedanke Gänsehaut aus. Dieses Gesetz öffnet Tür und Tor für Missbrauch. Betrachtet man nämlich den wirt-schaftlichen Aspekt, müssen inländische Casinos überhaupt nicht mehr innovieren oder sich bemühen. Ich möchte kein staatliches Glücksspielmonopol. Verstehen Sie mich nicht falsch: Schutz vor Spielsucht ja, aber doch kein Schutz vor Business Model.
Willkommen in der realen Welt
Ich kann jetzt in Zürich ins Auto steigen, nach Bregenz fahren und dort im Casino spielen. So viel und so lange ich will. In der realen Welt gibt es keinen Schutz vor ausländischer Konkurrenz. Was physisch möglich ist, soll doch auch digital möglich bleiben. Wie viele Personen spielen überhaupt auf Online Casino-plattformen? Die meisten versuchen ihr Glück wohl bei Online Pokerspielen wie Pokerstars, ein Riesen-business, das sogar auf Tour geht und völlig legitim ist. Ich gebe zu, dass auch ich gerne pokere und mir das nicht verbieten lassen möchte. Dasselbe gilt für Sportwetten. Ich möchte mit Freunden online auf den englischen Fussball oder auf ein Spiel der Schweizer Nati wetten können. Es geht mir neben der per-sönlichen und wirtschaftlichen Freiheit insbesondere um die Gefahr, mit dem Ganzen einen Präzedenzfall zu schaffen. Internetseiten zu sperren, nur weil sie uns aus wirtschaftlichen Gründen nicht passen, erinnert mich an die Politik in Nordkorea oder China.
Hausvorteil
Dieses Gesetz zeigt, wie in Bern an der Bevölkerung vorbeipolitisiert wird, ohne Bezug zur Realität. Ich weiss aufgrund von persönlichen Erfahrungen und Gesprächen, dass sich die Lobbyabteilung in Bern extrem eingesetzt, diverse Leute einvernommen und Druck ausgeübt hat. In einem Milizsystem kann man Lobbying nicht verhindern und ich bin grundsätzlich auch dafür. Aber wenn keine Vernunft mehr dahinter steckt, dann verlieren alle. Ich bin auch enttäuscht von den Nationalräten des Kantons Zürich, die diesem Gesetz mehrheitlich zugestimmt und aus liberaler Sicht ihren Job nicht gemacht haben.
Diskussionen in Hülle und Fülle
In den Medien wird viel über das Verhüllungsverbot berichtet, das gegen Rechtsextreme, Hooligans, aber auch gegen Burkas zielt. Obwohl die Burka bei uns selten gesehen wird, ist sie zum Oberbegriff für muslimische Körperverhüllungen geworden. In der Schweiz haben wir keine Probleme damit und diskutieren dennoch über ein Burkaverbot.

Auf der Strasse sehen wir Kopftücher sowie vereinzelte Konvertiten und saudiarabische Touristinnen mit einem Nikab. Trotzdem soll mit dieser Initiative nun ein Kleiderverbot erreicht werden. Für mich als liberaler Politiker ist das unverständlich. Wir haben uns bei der Minarett-Initiative mit einer Bauvorschrift in der Verfassung bereits weltweit lächerlich gemacht. Jetzt kommt den SVP-Politikern des Egerkinger Komitees nichts Besseres in den Sinn, als auch noch eine Kleidervorschrift in die Verfassung zu schreiben. Wenn der Staat mir sagt, wie ich mich anziehen soll, was kommt dann als Nächstes? Vielleicht sagt man mir bald, um welche Zeit ich aufstehen und was ich frühstücken soll? Das ist Orwell, 1984. Mit diesem Kleidergesetz zeigen wir deutlich unsere Angst vor Fremdem.
Ästhetik ist subjektiv
Wir sind kein Land mit Städten wie Paris oder Berlin, die es nicht geschafft haben, diese Menschen zu integrieren. Die meisten Musliminnen hier sind gut integriert, und das Extremste, was wir bei uns sehen, sind Frauen mit Kopftüchern und ein paar verhüllte Touristinnen. Ich habe über den Daumen gerechnet in jeder Klasse etwa 5 Musliminnen und hatte in 10 Jahren eine Muslimin mit Kopftuch in meiner Klasse. Wegen dieses einen Kopftuchs braucht es jetzt natürlich ein Verbot. Das ist lächerlich und ein massiver Eingriff in unsere persönliche Freiheit. Verstehen Sie mich richtig, wenn ich eine Vollverschleierung oder ein Gesichtsschleier sehe, dann gefällt mir das auch nicht. Aber ein wichtiger Punkt der persönlichen Freiheit ist, dass jede Person soweit gehen kann, bis sie die persönliche Freiheit von jemand anderem tangiert. Und ein Kopftuch einer Frau auf der Strasse tangiert meine persönliche Freiheit in keiner Weise. Es tangiert meine ästhetischen Vorstellungen, aber bitte, da könnte ich auf der Strasse jetzt sofort auf 50 Leute zeigen, deren Kleidungsstil mir auch nicht gefällt. Beispielsweise Damen mit durchsichtigen Blusen, wo man den BH sieht. Das ist dann das komplette Gegenteil von Verhüllung, kommt im meinen Schulklassen weitaus mehr vor und finde ich genauso schlimm. Oder Punks. Oder wenn ich meine alten Fotos mit den Hip-Hop-Hosen anschaue, die ich unterhalb des Pos getragen habe, dann gefällt mir das auch nicht mehr. Aber das alles kann doch kein Grund für einen neuen Verfassungsartikel sein.
Toleranz statt Ignoranz
Einer der wichtigsten Punkte ist für mich die Toleranz. Aus dem eigentlichen Wortsinn, man kann mich gerne korrigieren, bedeutet es etwas erdulden. Wenn ich jemanden toleriere, dann dulde ich ihn, und darum geht es in einer toleranten Gesellschaft. Ich muss ein Kopftuch, einen Schleier oder im Extremfall sogar eine Burka dulden. Das ist meine Bürde. Klar, wenn im schlimmsten Fall in 10 Jahren hunderte von Frauen mit Burkas und Nikabs in der Schweiz herumlaufen würden, dann gefiele mir das nicht. Aber dann geht es aus meiner Sicht nicht um das Thema Kleidervorschrift, sondern darum, dass unsere Integration nicht funktio-niert. Wenn wir es nicht hinkriegen, Burkas, Nikabs und Schleier von unseren Strassen fernzuhalten, wenn sich junge hier geborene und aufgewachsene Musliminnen freiwillig dazu entschliessen, sich en masse zu verhüllen, dann haben wir als Gesellschaft bei der Integration versagt – Note ungenügend. Aber wir sind nicht an diesem Punkt. Ich kenne bis auf die erwähnte Schülerin keine Muslimin, die ein Kopftuch trägt und auch keine muslimischen Männer oder Knaben, die hier aufgewachsen sind und fordern, dass eine Frau ein Kopftuch tragen muss. Deshalb bin ich der Meinung, dass es keinen Grund für eine Gesetzesänderung gibt. In solchen Fällen muss ich wieder einmal erwähnen, dass für jedes neue Gesetz ein altes rausgeworfen werden müsste, es wenige Gesetze braucht und ein solches schon gar nicht.
Arenasendung zum Thema: Burka - Da sehen wir schwarz, vom 6. Oktober 2017